Die Debatte von CDU und CSU über die Frage, wer für den autonomen Terror in Hamburg die politische Verantwortung trägt, demaskiert inzwischen ein bislang nicht gekanntes Maß an Verlogenheit der Union im Wahlkampf. Und es hat das Potential, den Graben zwischen demokratischen Parteien wieder sehr tief auszuheben. Ich jedenfalls will nicht zurück in eine Zeit, in der SPD und CDU/CSU wieder zu unversöhnlichen Gegnern werden, sondern finde es gut, dass wir heute nur Wettbewerber sind. Damit das so bleibt, muss das perfide Spiel der CDU-Wahlkampfstrategen aufhören.
Nie wäre es Sozialdemokraten eingefallen, die Union angesichts der NSU-Morde oder der Neonazi-Brandstiftungen auch nur in deren Nähe zu rücken oder der Union eine indirekte Mitschuld dafür zu geben. Wir Sozialdemokraten wären nicht im Traum auf die Idee gekommen, der Union angesichts der Brandstifter von Heidenau vorzuwerfen, sie würde sich nicht ausreichend für diese Mordbrenner interessieren. Wenn die Wahlkampfstrategen der CDU/CSU die SPD jetzt auch nur in die Nähe von Gewalttätern rücken, verletzen sie damit die Ehre einer Partei, deren Mitglieder in ihrer über 150-jährigen Geschichte immer von links- und rechtsaussen bedroht, verfolgt und umgebracht wurden. Die SPD ist die einzige Partei in Deutschland, die keine Belehrungen im Kampf gegen Terroristen braucht – egal, ob sie von links oder rechts kommen.
Es ist ein doppelzüngiges „Schwarze Peter“-Spiel gegen die SPD, das die CDU/CSU derzeit treibt. Einerseits Rücktrittsforderungen gegen Olaf Scholz aus der Union – während andererseits der CDU-Wahlkampfkoordinator und Kanzleramtsminister Peter Altmaier scheinbar Ehrenerklärungen für ihn abgibt. Statt gemeinschaftlich die Fragen zu beantworten, warum sich die Hamburger Gewalttäter europaweit verabreden, ihre Verbrechen logistisch gut vorbereiten und anreisen konnten, warum sowohl die Geheimdienste als auch die europäischen Polizeibehörden das weder ausreichend wussten noch verhindern konnten und was die Politik in Deutschland und Europa ändern muss, wird ein böser und infamer Wahlkampf betrieben: hier die Krokodilstränen der CDU-Vorsitzenden und Kanzlerin mit ihrem Kanzleramtsminister für die Solidarität mit dem Hamburger Bürgermeister und dort bundesweit Propaganda gegen die angeblich windelweichen Sozialdemokraten, die den sogenannten „linken Terror“ unterstützen. Das ist ein Gipfel der Verlogenheit!
Halten wir uns an die Tatsachen:
Die Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte im Wahljahr 2017 in ihrer Heimatstadt Hamburg den G20-Gipfel nutzen, um mit attraktiven Bildern ihr Image aufzupolieren. Angela Merkel als Weltenlenkerin. Wenn das nicht gelingt, dann sind eben Trump, Putin und Erdogan schuld. Und die deutsche CDU-Kanzlerin „last woman standing“. So das coole Kalkül der CDU-Wahlkampfplaner. Und sollte es zu Gewalt kommen, ist ja immer die jeweilige örtliche Politik schuld. In jedem Fall nie Angela Merkel. Der Gipfel selbst ist mit Blick auf die großen Fragen der Menschheit – Krieg, Bürgerkrieg, Flucht, Hunger und Armut – denn auch ein totaler Fehlschlag. Aber leider muss man heute schon zufrieden sein, wenn sich die zwanzig Staatschefs der reichsten Länder überhaupt treffen. Soweit zum Erfolg.
Dem Erfinder der Gipfel-Politik, dem Hanseaten Helmut Schmidt, wäre eine solche Idee nie in den Sinn gekommen.
Dem Erfinder der Gipfel-Politik, dem Hanseaten Helmut Schmidt, wäre eine solche Idee nie in den Sinn gekommen. Er wusste, dass greifbare Ergebnisse in der Weltpolitik nicht auf großer Bühne, sondern in vertraulicher Atmosphäre erzielt werden. Seine ersten beiden Gipfel fanden an abgeschiedenen Orten wie Schloss Rambouillet (Frankreich) oder in San Juan (Puerto Rico, USA) statt. Helmut Schmidt hat Gipfel nicht als Shows inszeniert, hat sie auch nicht für eigene Imagezwecke instrumentalisiert, sondern er hat – wie es sich für einen echten Hanseaten gehört – um Ergebnisse in der Sache gerungen.
Olaf Scholz ist nicht der Verantwortliche für diese Gipfel-Inszenierung. Er tat das, was jeder gute Bürgermeister und Ministerpräsident, der vor der Herausforderung einer Großveranstaltung steht, tun muss: für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger der Stadt sorgen, die Sicherheit für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Griff behalten und für Freiräume für die vielen Menschen, die ihren Protest friedlich und anständig vortragen wollen, sorgen. Autonome Kriminelle aus ganz Europa haben dennoch die Gewalt in Hamburgs Straßen und Wohnviertel getragen. Wer seinen Rücktritt will – schon die Forderung halte ich für völlig unangemessen – der muss auch den Rücktritt von Angela Merkel fordern. Denn sie trägt die politische Verantwortung für die Inszenierung und Ausrichtung des G20-Gipfels in Hamburg, der einem heimlichen Ziel folgte: die Selbstinszenierung der CDU-Vorsitzenden kurz vor der Bundestagswahl.
Die Gewalt in Hamburg war schlimm und führt zu vielen Fragen, denen wir nicht ausweichen dürfen.
Die Gewalt in Hamburg war schlimm und führt zu vielen Fragen, denen wir nicht ausweichen dürfen. Aber jetzt innenpolitisch diese Gewaltexzesse zur parteipolitischen Schuldzuweisungen zu nutzen, bringt im Nachhinein den kriminellen Gewalttätern noch einen späten Sieg. Denn sie wollen den Staat destabilsieren. Die Art, in der CDU und CSU derzeit die Brutalität der Autonomen instrumentalisieren, könnte aus dem Lehrbuch dieser Leute stammen. Wir sollten Ihnen diesen Gefallen nicht tun.
Martin Schulz und ich haben deutlich vor den Gewaltexzessen in Hamburg dafür plädiert, kommende Gipfel bei der UN in New York durchzuführen.
Noch etwas, um den Legenden entgegenzutreten, die derzeit von Unionsfraktions-Propagandisten verbreitet werden: Martin Schulz und ich haben deutlich vor den Gewaltexzessen in Hamburg dafür plädiert, kommende Gipfel bei den Vereinten Nationen in New York durchzuführen.Die Gründe sind nachzulesen und hatten und haben nichts mit Hamburg zu tun: Wir wollen, dass sich die G20 nicht als Weltregierung aufspielen und dass die Ärmsten der Armen wenigstens durch den Generalsekretär der UN mit am Tisch sitzen. Denn genau das war bei diesem G20-Gipfel wieder nicht der Fall. Diese Forderung nach einem Platz für die Armen der Welt am Verhandlungstisch der Reichen jetzt umzudeuten in eine angebliche Kritik am Sicherheitskonzept in Hamburg, ist pervers.
Dieser aktuelle Wahlkampf der CDU/CSU gegen die SPD birgt die Gefahr, die politische Kultur auf viele Jahre hin zu vergiften. Angeblich ist ja die Leitkultur der Union so wichtig in Deutschland. Dazu gehört allerdings vor allem Anstand. Den allerdings vermisse ich im Unionswahlkampf. Hoffen wir, dass er zurückkehrt.