Die Jugendarbeitslosigkeit im Süden Europas ist weiterhin schwindelerregend hoch, die Brexit-Gespräche stocken, kaum dass sie angefangen haben, die Türkei entwickelt sich mehr und mehr zum autoritären Staat, aber auch in Polen und Ungarn gibt es antidemokratische Tendenzen. Kurzum: Die EU hat weiterhin mit einer langen Liste von Herausforderungen zu kämpfen. Zugleich hört man nach Jahren des „EU-Bashings“ wieder öfter pro-europäische Stimmen. In diese Gemengelage – zwischen Krise und Aufbruch – fällt die Rede von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zur „Lage der Union“.
Die Spannung ist dieses Mal besonders groß. Denn es ist wahrscheinlich Junckers letzte Chance, Projekte anzuschieben, die noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden können. Im EU-Parlament rechnet man unter anderem mit Vorschlägen zu strategisch wichtigen Bereichen wie der Handelspolitik und der Industriepolitik sowie zur Vertiefung der Eurozone. Das wohl brennendste Projekt ist aber die Zukunft der Europäischen Union. Die Kommission hatte im Frühjahr in einem Weißbuch fünf Szenarien hierzu skizziert, die intensiv diskutiert wurden. Jetzt, so heißt es, wird Juncker ein sechstes vorstellen.
Wir Sozialdemokraten haben selbst ein sechstes Szenario entwickelt, an dem wir Junckers Vorschläge messen werden. Unsere Vision sieht zum einen eine Vertiefung der europäischen Integration vor, zum anderen einen deutlichen Ausbau der sozialen Dimension Europas. Vor allem erwarten wir von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, dass er das Versprechen, mit dem er angetreten ist, einlöst: Europa ein „soziales Triple-A“ zu verschaffen. Der Vorschlag zur Europäischen Säule Sozialer Rechte, den die Kommission im April vorgelegt hat, ist deutlich hinter diesem Anspruch zurückgeblieben. Die Messlatte war ein Bericht mit ambitionierten Forderungen, der unter sozialdemokratischer Federführung entstanden ist und den das Parlament mit großer Mehrheit verabschiedet hat. Zu den Kernpunkten gehörten beispielsweise eine Rahmenrichtlinie für menschenwürdige Arbeitsbedingungen und eine Grundsicherung für alle Kinder, die in Armut leben. Diese Vorschläge hat die EU-Kommission weitgehend missachtet. Nun hat sie die Chance nachzubessern.
Zudem setzen wir uns für eine umfassende europäische Integration ein. In kritischen Bereichen fehlt es der EU aufgrund mangelnder Kompetenzen und divergierender nationaler Interessen an ausreichender Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit. Zugleich respektieren wir, dass sich nicht alle Mitgliedstaaten gleichermaßen bzw. zeitgleich stärker engagieren wollen. Es muss jedoch sichergestellt sein, dass die Länder, die die europäische Einigung vorantreiben wollen, nicht ausgebremst werden.
Quelle: spd-europa.de